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Titel
Wald und Mensch. Die Nationalparkregion Hohe Tauern (Kärnten)


Autor(en)
Johann, Elisabeth
Reihe
Das Kärntner Landesarchiv 30
Erschienen
Klagenfurt 2004: Kärntner Landesarchiv
Anzahl Seiten
812 S., 158 s/w & 108 farb. Abb., 74 Tab.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Knoll, Neuere Geschichte, Universität Regensburg

In seinem Geleitwort zu Elisabeth Johanns Monografie berichtet der Direktor des Österreichischen Nationalparks Hohe Tauern, Peter Rupitsch, von einem ‚Aha-Erlebnis’. Am Anfang des nun publizierten Forschungsprojekts hätten Arbeiten für den gesetzlich vorgeschriebenen Nationalparkplan gestanden. Diese haben ein überraschendes Bild zutage gefördert: „Große Bereiche des heute nicht mehr bewirtschafteten Bergwaldes im Nationalpark Hohe Tauern in Kärnten sind vor Jahrhunderten bereits genutzt worden!“ (S. 13) Ausgehend von dieser Erkenntnis habe nun nicht mehr nur eine Analyse des ‚Ist-Zustandes’ der Bergwälder im Zentrum des Interesses gestanden, sondern zunehmend auch eine Erforschung der Nutzungsgeschichte.

Johann, Wiener Forstwissenschaftlerin und ausgewiesene Kennerin der Kärntner Wald- und Forstgeschichte, verfolgt in ihrer Studie das Ziel, den historischen Wandel der alpinen Kulturlandschaft im Einzugsgebiet des heutigen Nationalparks Hohe Tauern als Zusammenspiel von natürlichen Faktoren (Geologie, Relief, Boden, Klima) und anthropogenem Einfluss (menschliche Landnutzung unter sich verändernden politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen) nachzuzeichnen. Sie hat hierfür umfangreiches archivalische Material vor allem der Montan-, Finanz- und Forstverwaltung sowie regional- und forstgeschichtliche Literatur ausgewertet. Als Ergebnis ihrer Studien hat sie ein detailliertes Porträt menschlichen Lebens und Wirtschaftens in einer alpinen Region vorgelegt, in dem die bäuerliche Waldnutzung ebenso thematisiert wird wie die Rolle der Ressource Wald für das lange Zeit obrigkeitlich privilegierte Montanwesen. Nutzungskonflikte kommen in den Blick; Ursachen und Phasen der qualitativen und quantitativen Abnahme des Waldbestandes werden ebenso diskutiert wie Maßnahmen zum Waldschutz, geplante Aufforstung und natürliche Wiederbewaldung. In der Summe liegt eine Monografie vor, die nicht nur für die Diskussion forst- oder umweltgeschichtlicher Fragestellungen von großem Nutzen ist, sondern die darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Kärntner Landes-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte leistet. Der zeitliche Schwerpunkt der Darstellung liegt zwischen dem späten 18. und dem frühen 20. Jahrhundert; das Mölltal bildet einen gewissen regionalen Fokus.

Das erste Hauptkapitel steckt die topografischen, geologischen und klimatischen Rahmenbedingungen einer zentralalpinen Region ab, deren höchste Bergmassive sich über 3500 Meter über N. N. erheben. Die LeserInnen erhalten einen Überblick über die Siedlungsgeschichte, das Vorkommen und die Nutzung von Bodenschätzen. Schließlich werden die Vegetation, die Entwicklung der Wälder und der agrarisch geprägten Kulturlandschaft in den Blick genommen. Bereits hier gilt Formen menschlicher Nutzung der Bodenschätze und der Waldressourcen recht große Aufmerksamkeit, obwohl der Nutzung der naturräumlichen Gegebenheiten in der Folge ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Auch an anderen Stellen der Arbeit fällt eine solche mitunter die thematischen Grenzziehungen aufweichende Argumentationsführung auf.

Das zweite Hauptkapitel nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Ausformung und Entwicklung des Waldeigentums seit dem Mittelalter: landesherrliche und grundherrliche Besitztitel, bäuerliches Eigen und bäuerliche Nutzungsrechte. Vielleicht wäre eine stärkere Prononcierung des ‚geteilten Eigentums’ als Faktor der vormodernen Rechtsgeschichte dabei der Klarheit in der Diskussion teils unübersichtlicher Verhältnisse zugute gekommen. Die verschiedenen Rechtsträger hatten unterschiedliche Nutzungsinteressen am Wald: In der frühneuzeitlichen landesherrlichen Gesetzgebung spiegelt sich das fiskalische Interesse am Montanwesen, dessen Versorgung mit Gruben- und Kohlholz stets Priorität eingeräumt wird. Eine Verschiebung des staatlich-fiskalischen Interesses ergab sich im 18. und 19. Jahrhundert mit dem Niedergang der regionalen Montanindustrie auf der einen und der verbesserten Verkehrsanbindung auf der anderen Seite. Diese Phase ist durch eine Umstellung von der Brennholzwirtschaft auf eine am überregionalen Holzhandel orientierte Nutzholzwirtschaft gekennzeichnet. Auf der anderen Seite standen die Nutzungsinteressen der ländlichen Bevölkerung. Vor- und frühmoderne Landwirtschaft war auf eine intensive und vielfältige Waldnutzung angewiesen. Wald hatte nicht nur Bau-, Werk- und Brennholz zu liefern. Man erntete Laub- und Aststreu und weidete Vieh im Wald, gewann Harz und erzeugte mittels Brandrodung temporär fruchtbare Anbauflächen oder vergrößerte Almweiden. Eine besondere Leistung Johanns liegt in der umfangreichen Quantifizierung wirtschaftlich, sozial oder ökologisch relevanter Größen, hier z.B. des Streubedarfs und der Belastung der Wälder durch den Weidebetrieb.

Das den Nutzungskonflikten gewidmete Kapitel fasst zunächst die Konstellation der divergierenden Interessen unterschiedlicher Gruppen zusammen. Dass im Zusammenhang der Nutzungsinteressen und -konflikte die Jagdausübung nur knapp als „privates Interesse“ des Landesherrn klassifiziert wird (Tab. 60, S. 459), irritiert. Auch an anderer Stelle ist in Johanns Studie wenig von der Jagd die Rede, wo doch etwa die populationsökologischen Implikationen der herrschaftlichen Jagd und des historischen Wildtiermanagements nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung des Bergwaldes gewesen sein dürften. War dieser Faktor im alpinen Kontext des Untersuchungsgebiets schlicht bedeutungslos oder ist es die Perspektive des forstadministrativen Quellenmaterials, die dieses soziale und ökologische Problemfeld weitgehend ausspart? Einen instruktiven Einblick in die durch die räumlichen Bedingungen arg begrenzte Effizienz staatlicher Forstpolitik und Waldaufsicht gewährt Johanns Entwicklungsskizze der landesherrlichen Montan- und Forstverwaltung: Ein Distriktförster des frühen 19. Jahrhunderts, der im alpinen Gelände die schier unglaubliche Fläche von 42.000 ha Wald zu betreuen hatte (S. 463, 529), war als Kontrollorgan im Grunde zum Scheitern verurteilt. Ähnlich wie schon Norbert Schindler für die Salzburger Jäger des späten 18. Jahrhunderts 1 kann Johann anhand der Mobilitätsmuster eines Kärntner Försters des 19. Jahrhunderts aufzeigen, wie groß die körperlichen Strapazen dieser schlecht bezahlten Staatsdiener gewesen sein müssen. Doch nicht nur auf der Ebene der Exekutive blieben Nutzungskonflikte ungelöst. Auch die juristische Bereinigung der Konfliktlage durch Ablösung der Nutzungsrechte (Servituten) stand bis ins 20. Jahrhundert hinein aus.

Der vielfältige Nutzungsdruck hinterließ Spuren im Waldbild und in der ökologischen Funktion des Waldes. Johann gelingt es nachzuweisen, dass – jenseits bloßer Panikmache durch Forstleute – stets ein enger Zusammenhang zwischen dem Waldzustand und der Gefahr durch Hochwasser, Muren, Lawinen etc. bestand und dass versucht wurde, dem durch Schutzmaßnahmen gegenzusteuern. Schon im 16. Jahrhundert wurden Wälder im Mölltal in ihrer Funktion zur Abwehr von Lawinen erkannt und als „Schutzwälder“ ausgewiesen. Johann glaubt nachweisen zu können, dass es ungeachtet des strukturellen Gegensatzes zwischen Forstleuten und Bauern im frühen 20. Jahrhundert in der Kärntner Forstverwaltung durchaus Ansätze für einen Waldschutz unter Berücksichtigung der sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung gegeben hat. Dass das Zapfensammeln zur Samengewinnung für die Aufforstung auch als Strafe über Waldfrevler verhängt wurde – ein sozialpädagogisches Detail am Rande.

Vergleichsweise kursorisch geht Johann auf die in der Region traditionsreiche touristische Erschließung und auf die Entstehungsgeschichte des Nationalparks Hohe Tauern ein. Hier hätte sich ein umfangreicherer Ausblick angeboten, nicht nur weil sich die Geschichte der Naturschutzbewegung zu einem spannenden und vielbeackerten umweltgeschichtlichen Forschungsfeld entwickelt hat.2 Konkret im Zusammenhang mit der Nationalparkgründung zeigt sich einmal mehr, wie weit der internationale Austausch von Naturschutzkonzepten gediehen war. Johann unterstreicht zu Recht die Rolle des Holzindustriellen und Waldbesitzers Albert Wirth, der 1918 das Großglocknergebiet kaufte und als Naturschutzpark gewidmet dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein schenkte. Wirth, der damit den Grundstock des heutigen Nationalparks legte, hatte das Vorbild des Yellowstone Parks in den Vereinigten Staaten vor Augen, den er selbst besucht und dessen Konzept ihn tief beeindruckt hatte (S. 769f.).

Elisabeth Johann hat eine Untersuchung vorgelegt, die die disziplinären Wurzeln ihrer Autorin in der Forstgeschichte nicht leugnet, die in ihrer prallen Materialfülle und der methodischen Offenheit der Anlage daneben aber einen wichtigen Beitrag zur alpinen Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Kärntens leistet. Die Aufbereitung des umfangreichen statistischen Materials in Tabellen und Grafiken kommt dem Leser ebenso entgegen wie die Visualisierung von Wald- und Landschaftszuständen in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Letztere schüren in ihrer hohen Qualität freilich auch den Wunsch des Rezensenten, die Gegend – nicht als Historiker sondern als Tourist – selbst einmal zu besuchen.

Anmerkungen:
1 Schindler, Norbert, Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte, München 2001, S. 152-160.
2 Im Sinne einer kritischen Zwischenbilanz jüngst: Uekötter, Frank, The Old Conservation History and the New. An Argument for Fresh Perspectives on an Established Topic, in: Historical Social Research / Historische Sozialforschung 29,3 (2004) – Special Issue, S. 171-191.

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